Wenn du ein Boot gefunden hast, das du gerne kaufen möchtest, ist eine Bootsbesichtigung viel mehr als nur ein Kästchen zum Ankreuzen.
Manche Menschen sind in der Lage, eine Reihe von neuen Booten zu kaufen. Andere möchten eine vertrauensvolle, langfristige Beziehung aufbauen, indem sie nach und nach eine bestimmte Marke von einem bestimmten Händler kaufen. Die große Mehrheit der Bootskäufe findet jedoch zwischen privaten Anbietern auf dem Gebrauchtbootmarkt statt - und das macht ihn zu einem äußerst aktiven und dynamischen Ort zum Einkaufen. Hier findest du einen unserer Artikel über die Vorteile des Kaufs eines gebrauchten Bootes.
Es ist jedoch kein Ort, an dem die Boote auf Hochglanz poliert, perfekt gewartet und mit tadelloser Dokumentation versehen sind. Ganz im Gegenteil: Es gibt zwar viele frische, saubere und gut gewartete Boote, aber auch viele müde und bedürftige Projektboote - und wenn du nicht weißt, wonach du suchst, ist es nicht immer leicht zu erkennen, welches das richtige ist. Noch problematischer ist, dass du als Käufer/in bei einer privaten Transaktion kaum rechtlichen Schutz genießt, selbst wenn du einen Makler einschaltest. Je mehr du also tust, um alle relevanten Informationen zusammenzutragen und eine fundierte Kaufentscheidung zu treffen, desto sicherer bist du.
Allgemeine Tipps zum Bootskauf findest du auch hier.

Ein Gutachten ist beim Kauf eines Bootes unerlässlich.
Was ist ein Schiffsgutachten?
Ein Schiffsgutachten ist ein zentraler Bestandteil des Dossiers des Bootskäufers. Es handelt sich dabei um eine professionelle Bewertung des Zustands und des Werts eines Bootes - und sie kann verschiedene Formen annehmen, die jeweils auf die Bedürfnisse des Auftraggebers abgestimmt sind. Ein Versicherungsgutachten wird zum Beispiel im Auftrag eines Versicherers erstellt, der die Risiken einer möglichen Deckung bewerten muss; ein Finanzierungsgutachten wird im Auftrag eines Kreditgebers erstellt, der die Relevanz des Bootes als Sicherheit für einen Kredit bewerten muss; und wenn du dein Boot versetzen lassen willst, kannst du auch ein Gutachten vor und nach dem Transport in Auftrag geben, um sicherzustellen, dass dein Boot in perfektem Zustand am Zielort ankommt.
Die umfassendste und wichtigste Form der Begutachtung für den Bootskäufer ist jedoch die Vor-Kauf- oder Vollzustandsbegutachtung. Sie dient dazu, die guten und schlechten Seiten eines Bootes zu identifizieren und dir (und nicht dem Verkäufer) eine detaillierte Liste der zu behebenden Probleme zu geben, mit einer klaren Angabe ihrer relativen Dringlichkeit und Wichtigkeit. Damit hast du ein realistisches Druckmittel in der Hand, um die Mängel vor dem Kauf zu beseitigen, den vereinbarten Preis (vorbehaltlich des Gutachtens) zu senken oder dein Angebot zurückzuziehen und das Boot nicht zu kaufen. Das verschafft dir nicht nur Seelenfrieden (ein sehr wertvolles Gut auf dem Gebrauchtbootmarkt), sondern kann auch sehr zu deinem Vorteil sein, wenn du eine Finanzierung für den Kauf des Bootes benötigst (oder eine Versicherung, um deine Investition zu schützen).
Welche Art von Boot braucht ein Gutachten?
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass Bootsbesichtigungen nur für hochwertige Boote erforderlich sind, die privat auf dem Gebrauchtmarkt gekauft werden. Ganz im Gegenteil: Sowohl neue als auch gebrauchte Boote können von Schiffsbesichtigungen profitieren. Schließlich wird in der Bootsbauindustrie überwiegend in kleinen Stückzahlen und mit nur mäßiger Mechanisierung produziert, so dass neue Boote fast immer Mängel aufweisen. Außerdem liegen einige neue Boote monatelang auf dem Wasser oder legen Hunderte von Kilometern als Ausstellungsmodelle auf Messen und Veranstaltungen zurück, während sie darauf warten, dass ein Käufer anbeißt. Kurz gesagt: Wenn du ein Boot nicht nur als bescheidenes Projekt von geringem Wert kaufst, ist es ratsam, ein Gutachten einzuholen.
Sei dir nur bewusst, dass der Verkäufer vielleicht sein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben hat, als er das Boot kaufte, aber das nützt dir gar nichts. Es schadet zwar nicht, einen Blick in einen alten Bericht zu werfen, aber jede Art von Kollision, Grundberührung oder technischem Missgeschick könnte sich seit der letzten Begutachtung ereignet haben - und da du nicht weißt, wie das Boot genutzt und gepflegt wurde, könnten der allgemeine Verfall und die Korrosion, die mit dem Alter einhergehen, bedeutender sein, als es die verstrichene Zeit vermuten lässt. Außerdem haben die meisten seriösen Besichtiger/innen zwar eine Berufshaftpflicht- und Betriebshaftpflichtversicherung, aber wenn die Besichtigung nicht von dir in Auftrag gegeben und bezahlt wurde, hast du keine Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen.
Wie wählst du den richtigen Besichtiger aus?
Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Vielzahl an privaten Bootsbegutachtern, die du am besten über eine simple Internetsuche ausfindig machst. Ebenso können Versicherungen Gutachten verlangen, zum Beispiel wenn das Boot in einen Unfall verwickelt ist. Diese Gutachten sind allerdings nicht so umfangreich wie solche, die vor einem Verkauf durchgeführt werden.
Auch wenn du dich für ein Boot aus dem Ausland interessierst, ist ein Besichtiger mit Sitz in Deutschland (oder Österreich beziehungsweise der Schweiz) immer noch die beste Wahl, zum einen, um Sprachbarrieren zu vermeiden, und zum anderen, weil du, falls nach dem Kauf etwas schiefgehen sollte, deinen Anspruch über das deutsche, österreichische oder schweizer Rechtssystem geltend machen kannst und nicht gezwungen bist, dich an ein ausländisches zu wenden.
In jedem Fall solltest du aber einen erfahrenen Besichtiger auswählen, der auf den betreffenden Bootstyp spezialisiert ist. Egal ob Segel- oder Motorboot, Binnen- oder Hochseeschiff, Gleitboot oder Verdränger, Kat oder Einrumpfboot - und egal ob es aus Stahl, Holz oder Glasfaser gebaut ist - du bekommst nur dann einen wirklich wertvollen Service, wenn du jemanden beauftragst, der nachweislich weiß, worauf es bei einem bestimmten Bootstyp ankommt. Bitte also um Kopien früherer Besichtigungen ähnlicher Boote, und wenn du die Berichte nicht klar, aussagekräftig und zugänglich findest, solltest du dich anderweitig umsehen.
Was beinhaltet eine vollständige Zustandsuntersuchung?
Unabhängig vom Bootstyp sollten alle Zustandsbesichtigungen eine grundlegende Bewertung der kritischen Komponenten umfassen, einschließlich des Rumpfes, der Antriebsanlage und des Zustands aller mechanischen Komponenten. Wenn das Boot außerhalb des Wassers liegt und der Rumpf und die Außenhautbeschläge leicht zugänglich sind, lassen sich Risse, dünne Stellen, Osmose- oder Schlagschäden viel leichter erkennen. Eine Besichtigung sollte auch eine Inspektion des Motors und des Antriebs beinhalten, um Probleme mit den Befestigungen, Wellen oder Verbindungen aufzudecken, sowie eine Inspektion der Steuersysteme, der Decksbeschläge, der Kommunikations- und Sicherheitsausrüstung.
Auch wenn eine Besichtigung in der Regel keine Probefahrt beinhaltet, ist sie doch ein wichtiger Teil des Bootskaufs, so dass es sinnvoll sein kann, den Besichtiger gleich mit an Bord zu nehmen. So kannst du dich vergewissern, dass das Boot in jeder Hinsicht einwandfrei funktioniert - und auch wenn du als Bootskäufer die Kosten für die Besichtigung und die Probefahrt sowie alle damit verbundenen Kosten wie Heben, Zuwasserlassen und Abschleppen tragen musst, lohnt es sich, einen Teil deines Budgets dafür aufzuwenden.
Angesichts des offensichtlichen Zeitdrucks beim Bootskauf sind die Besichtiger daran gewöhnt, sehr kurzfristig zu arbeiten. Die meisten geben dir bereits am Tag der Inspektion einen guten Eindruck von ihrer Einschätzung und erstellen innerhalb von 72 Stunden einen schriftlichen Bericht. Du kannst den Besichtiger dann anrufen, um bestimmte Feststellungen im Bericht zu besprechen - aber was den Bericht selbst angeht, sollte ein guter Bericht sehr klar und deutlich sein...
Er sollte eine Liste der Bereiche enthalten, die beachtet werden müssen, mit einer klaren Angabe der jeweiligen Priorität. Es gibt eine Liste mit schwerwiegenden Mängeln, die sofort behoben werden müssen, eine Liste mit mittelschweren Problemen, die zu einem späteren Zeitpunkt zusammen mit anderen geplanten Wartungsarbeiten erledigt werden können, und eine Liste mit relativ unbedeutenden Problemen, die du als Grundlage für mögliche zukünftige Verbesserungen nutzen kannst. Ein/e gute/r Besichtiger/in wird auch frühe Anzeichen eines Problems erkennen, das kurzfristig keinen Anlass zur Sorge gibt, aber im Laufe der Zeit überwacht werden sollte.

Ein gut behandelter Motor ist ein Indikator für den Zustand des gesamten Bootes.
Was sind die Garantien und Einschränkungen?
Bei einer vollständigen Zustandsbewertung geht es nicht darum, dass ein Experte die Kaufentscheidung für dich trifft. Es handelt sich lediglich um einen Bericht über den Zustand des Bootes zu einem bestimmten Zeitpunkt, zu dem der Verkäufer den Zugang zum Boot erlaubt hat.
Dank moderner, zerstörungsfreier Prüfmethoden wie Ultraschall musst du keine Löcher mehr in ein Boot bohren, um den Zustand des Rumpfes zu beurteilen. Wenn der Verkäufer an Bord ist, lässt er dem Gutachter oft mehr Freiheiten, wenn er der Meinung ist, dass dies den Verkauf fördert, ohne sein Boot zu beschädigen. Aber selbst dann gibt es Aspekte des Bootes, die der Gutachter nicht inspizieren kann, und das sollte in seinem Bericht ausdrücklich erwähnt werden.
Ein guter Besichtiger sollte auch auf Bereiche hinweisen, die eine genauere Untersuchung durch einen Fachmann oder eine Fachfrau rechtfertigen - aber letztendlich musst du entscheiden, wo du die Grenze ziehst. In Anbetracht der immerwährenden Relevanz von Caveat Emptor (dem Grundsatz, dass die Verantwortung beim Käufer liegt), glaubst du, dass du die relevanten Fakten ausreichend kennst, um ein fundiertes Urteil über das Boot zu fällen? Wenn ja, triff deine Wahl. Wenn nicht, ist es an der Zeit, etwas tiefer in die Materie einzutauchen.
Hauptfoto: Diego Yriarte